Kapitel 13

TRANSATLANTIK Nordroute

Liebe Allgäuer!

Rockland, 17.5.93

Unsere Arbeiten schreiten bei gutem Wetter so schnell voran, daß ich endlich Zeit finde zu schreiben. An anderen Abenden war entweder etwas anderes los, oder ich war einfach hundemüde.

Es gibt ja inzwischen auch eine ganze Menge zu erzählen.

Am besten fange ich mal wieder der Reihe nach an und das ist in München am Flughafen. Brigitte und Sepp haben uns gut dorthin gebracht und dann waren wir mit all unserem Gepäck und den Zollpapieren erst einmal auf der Suche nach den Beamten. Der neue Flughafen ist wirklich riesig und vor allem macht er immer den Eindruck der Menschenleere. Beim Zoll kam dann das ernüchternde Erlebnis mit der deutschen Bürokratie. Mein Pass wurde ja noch in Gröbenzell ausgestellt, also steht das als Wohnort drin. Das darf aber nicht drin stehen, wenn man Steuern zurück haben will. Hätten wir alle Papiere auf Dianne und ihren britischen Pass, der keinen Wohnsitz angibt, ausgeschrieben, wäre alles glatt gegangen, so gab es aber keinen Stempel und somit keine Mehrwertsteuer zurück. Nicht einmal die englischen Papiere der dortigen Einkäufe, haben sie mir abgestempelt. Dabei gab der Beamte zu, daß ich einen Anspruch hätte, wenn nur nicht Gröbenzell im Pass stehen würde. Ich hätte den Pass in New York als gestohlen melden müssen und dann einen bei der Botschaft holen müssen. Legal geht legal bei den deutschen Beamten nicht.

Aber dann saßen wir im Flugzeug und starteten erst mal nach Amsterdam. Es war überall bewölkt und so war der Flug wie eine Fahrt mit der U-Bahn. Der Amsterdamer Flughafen ist riesengroß und wir hatten es ganz schön weit beim Umsteigen. Wir hatten unsere Plätze am Fenster, gerade noch vor der Tragfläche. Der Blick entlang der Tragfläche war beim Start und bei Turbulenzen sehr interessant. Man sah die Durchbiegung der Tragfläche und das Vibrieren der Triebwerksaufhängungen. Das Flugzeug selbst macht aus der Sicht eines Seefahrers nicht den leichtesten Wackler. Wir hatten einen sehr angenehmen Flug, allerdings weitgehend ohne Bodensicht. Südlich Island war das Zentrum einer riesigen Zyklone und dort sahen wir dann das sturmgepeitschte Meer mit weißen Wellenkämmen aus 11.000 m Höhe. Dann wurde es wieder wolkig mit sehr hohen Wolken bis über 11.000 m. Erst über Labrador wurde es wieder sonnig und wir hatten klarste Bodensicht auf den menschenleeren Kontinent unter uns. Vom Wind kahlgefegte braune Höhen wurden von weißen zugefrorenen Flüssen und Seen unterbrochen. Einige der riesigen Ströme meanderten endlos durch die Wildnis. Alles Wasser war noch gefroren und bildete so einen gut sichtbaren Kontrast. Ich ließ über die Stewardess den Flugkapitän nach der Position fragen und kann daher meine Videoaufnahmen auf der Landkarte genau zuordnen. Einige Dinge waren uns von der Landkarte her vertraut und so wußten wir sofort was wir überfliegen. Ab Boston kannten wir die Gegend ja von der Seekarte her. In New York holte uns Ruth ab und war uns sehr behilflich. In ihrer schicken Swissair-Uniform geleitete sie uns schnell durch alle Sperren. Wir hatten dann noch Zeit für ein paar gemütliche Bier und es wurde schon dunkel wie wir auf das Flugzeug nach Boston warteten. Dieses Flugzeug war nicht startklar und wir sahen die Mechaniker ein und aus gehen. Wir warteten in einem Bus direkt daneben. Das Flugzeug war eine kleine Propellermühle und bei guter Sicht hätte mir der Flug in niedriger Höhe sicher gut gefallen. So war es aber schon dunkel und nach europäischer Zeit bereits lange nach Mitternacht. In Boston holte uns Sid zusammen mit einer Bekannten ab. Im gemütlich dahinrollenden riesigen Auto wurden wir beide eher schläfrig als gesprächig und sackten ständig ins Land der Träume weg. Trotz der langsamen 90 Km/h waren wir um 00.30 Ortszeit bei ihm zu Hause und kurz danach im Bett.

Wir wurden herzlich in die Familie aufgenommen und fühlten uns richtig zuhause. Das Wetter war noch recht winterlich und überall lag Schnee und die Flüsse, Seen und Buchten waren noch gefroren. Da waren wir recht froh um ein geheiztes Haus. Der Frühling ließ sich aber nicht mehr aufhalten. Bald trieben nur noch letzte Eisschollen den Fluß herunter und die Seen tauten nach und nach auf. Um die ARION herum war zunächst noch hoher Schnee, zumindest an einigen Stellen, aber auch das gab sich und wir konnten mit den Arbeiten beginnen. Die Heizung funktioniert sehr gut und so hatten wir es immer schön warm. Wir fuhren jeden Tag mit Sid`s Pick-Up die 30 Meilen zum Boot und abends wieder zurück. Wir wurden abends mit gutem Essen und oft mit einem Video nach Wahl verwöhnt. So sahen wir einige gute Kinofilme und Naturfilme wie z.B. "Der mit dem Wolf tanzt" und einen National Geographic Film über Grizzlys. Nebenbei drehte ich selbst Naturfilme über die Vögel und Eichkätzchen vor dem Haus. Das Haus steht am Hang über dem Fluß direkt im Wald. Einmal spazierten wir zum nahen Biberteich und sahen sogar den Biber über den Teich schwimmen.

Die 17-jährige Tochter Joanna machte dann eine Woche lang einen Schulausflug nach Paris und London. Sie kam natürlich von Eindrücken erschlagen zurück. Am Tag nach ihrer Rückkehr zogen wir an Bord. Meinen Geburtstag hatten wir noch bei Sid und Paula im Haus gefeiert. Es gab natürlich frischen Hummer.

Wie wir dann wieder ständig an Bord waren, wurde das Wetter von Tag zu Tag besser und wir kamen mit den Arbeiten auch schneller voran, da wir mehr Zeit an Bord waren. Ich baute aus einem Rasenmäher (Sonderangebot für $ 98) und einer 24 V 100 A Lichtmaschine einen Generator und installierte die neu gekaufte elektro-hydraulische Selbststeueranlage. Die Anlage ist recht kompliziert und es gab viele Kabel zu verlegen und kleine dünne Drähtchen anzuschließen. Bei einer Fa. in Bath bestellten wir neue 12 mm Makralonplatten für Fenster und einige sonnige Tage waren gerade recht für den Einbau. Zuerst dachten wir es wären keine Fenster drin, so klar war der Durchblick.

Die letzte Zeit haben wir viel Farbarbeiten gemacht und ARION sieht wieder wie neu aus und wird noch mehr bewundert. Viele Leute kommen vorbei und sprechen uns an. So lernen wir auch immer neue Leute kennen.

Bei soviel Arbeit hatten wir uns dann eine Pause verdient und vorletztes Wochenende fuhren wir mit Sid und Paula nach Greenville. Grennville ist eine kleine Stadt, eigentlich mehr eine Ansiedlung am Südende des mit 40 Meilen Länge größten Sees in Maine.

Dianne fuhr mit Paula im PKW und ich mit Sid im Truck. Die Jagdhütte ist sehr abgelegen und wir konnten mit dem PKW nur soweit fahren, wie die wenigen Häuser noch Strom haben. Dann ging es im Truck (Pick Up) noch einige hundert Meter weiter und dort stand dann am Wegesrand ein alter Traktor. Mit dem schafften wir nochmal 500 m, dann war dieser im Schlamm des erst auftauenden Bodens bis zur Achse versunken. Auf der Höhe der Achsen konnten wir ihn mit vielen Ästen und Zweigen halten. Zu Fuß ging es dann zum Camp und bald loderte vor dem Haus ein schönes Feuer in der offenen Feuerstelle und wir grillten Spießchen über der Glut. Es war einmalig schön dort in der Wildnis. Wir hatten vorher im Indian Hill Trading Post eingekauft, einem Geschäft auf dem Hügel mit einmaligem Blick auf den Moose Head Lake. In dem Geschäft gibt es vom Repetiergewehr bis zum Schnürsenkel einfach alles. Ich kaufte mir ein spezielles Messer zum Filetieren von frisch gefangenem Fisch. Im Geschäft sind auch allerlei Tiere ausgestellt. Vom Schwarzbär bis zum Wolpertinger war alles da.

Wir haben in der kurzen Zeit dort soviel gesehen und erlebt, daß ich garnicht alles im Einzelnen schreiben kann. Einige Höhepunkte will ich aber erwähnen. Mit einem Wasserflugzeug eines Buschpiloten flogen wir eine Runde über den Moose Head Lake, wir sahen mehrere Moose, Weißwedelhirsche, Hasen, Waschbären und viele hübsche Vögel.

An die Hasen kam ich mit der Kamera bis auf 5 m heran. Am Sontag machten wir den Traktor wieder fahrbereit und dank meiner Erfahrung mit Traktoren gelang es uns, das Ding aus dem Dreck zu bekommen. Danach waren eine Dusche und mehrere Bier fällig. Dusche mit Duschsack und Warmwasser vom Ofen, denn das Wasser wird mit einer Handpumpe aus 10 m Tiefe in ein Faß unter dem Dach gepumpt, von dort läuft es zum einzigen Wasserhahn an der Spüle.

Abends beim Grillen sahen wir einmal beim Sternebeobachten 5 hell leuchtende Satelliten gleichzeitig am Himmel. Wir grillten immer draußen, aßen aber dann im Haus, wo der riesige Kanonenofen bullige Hitze verstrahlte.

Wie wir über den See flogen, sahen wir noch zwei Stellen mit Eis im See. Im Winter hatte er eine 1,2m dicke Eisdecke.

Im Haus gab es auch einige Gewehre und Pistolen und Munition stand so herum. Wir befestigten eine Scheibe an einem Baum und schossen dann mit einem Trommelrevolver um die Wette.

Montag nachmittags kamen wir wieder zurück und Sid und Paula blieben noch zum Abendessen. Das herrliche warme Wetter hatte sich verzogen und es regnete. Die Front zog aber schnell durch und wir konnten das Boot fertig streichen. Bei dem schönen Wetter wurde auf vielen Booten gearbeitet. Ständig gehen Boote ins Wasser und wir werden wohl am Freitag dran sein. Bis dahin sollte alles so weit sein. Am Bugspriet war ein Rohr von innen durchgerostet, ich besorgte rostfreien Ersatz und schweißte es ein. Mikes Trenntrafo schaffte sogar die 115 V auf 220 V beim Betrieb des Schweißgerätes. Heute brach ein Teil von einem Lüfter ab, da gab es wieder etwas zum Schweißen. Gut, daß wir technisch so autark sind.

Gestern mittag fuhren wir mit unserem Tandem zum Einkaufen, es gab Hummer zum Sonderpreis, da konnte ich nicht widerstehen. Abends kamen Sid und Paula zu Besuch und ich machte meine gute Fischsuppe mit dem Gewürz der Pfälzer. Wir hatten soviel, daß die Suppe mit 6-erlei Fisch, 2-erlei Muscheln und Garneelen auch heute noch reichte.

Vorgestern lernten wir einen Segler aus der Chesapeake Bay kennen, der gerade ein Boot kaufte und vom Voreigner übernahm. Er lud uns zu einem Bier und einer Hafenrundfahrt ein, seine Jungfernfahrt, er freute sich wie ein Schneekönig. Die Frau des Voreigners ist Schwedin und sie sprach uns auf Deutsch an. Wir kamen ganz nett ins Gespräch.

Weiter vorn bei der Halle ist ein älteres Holzboot. Dianne unterhält sich immer mit dem Eigner, der jeden Tag daran arbeitet. Er will auch diese Woche ins Wasser. Gestern wurden wir von einem jungen Mann angesprochen und es stellte sich heraus, daß wir ihn vom letzten Jahr in Savannah Georgia kennen. Das Boot seines Vaters ist hier.

Heute schrieben uns auch Leo und Phyllis aus Frankreich. Ihr Boot ist auch hier und sie werden wohl kurz nach unserer Abreise kommen.

Leo ist der 78-jährige Franzose mit Herzschrittmacher, der schon öfters den Atlantik überquert hat. Wir haben die beiden in der gleichen Bucht wie Sid und Paula kennengelernt. Die Bucht der dicken Nebel und netten Menschen!

Mariele schrieb uns heute auch einen langen Brief aus Kanada. Sie sind sehr beschäftigt und aus vielerlei Gründen klappt es leider nicht mit einem Treffen. Ihre Tochter Catherine, die wir zuletzt im Winter bei Brigitte in Eisenberg sahen, möchte aber kommen, falls sie ein Auto organisieren kann.

So haben wir derart viel Kontakte, daß wir uns mehr als Einheimische denn als Fremde vorkommen.

Habt Ihr das Foto von der ARION in der Zeitschrift "Down East" gefunden? Schön, daß sich Horatio Knight ausgerechnet vor der ARION fotografieren ließ.

Dianne ist auch noch fleißig und übt astronomische Navigation. Sie hat schon die Vordrucke vorbreitet und rechnet alte Bestecke und Übungsaufgaben aus einer Zeitschrift nach. Meinen Navigationsrechner, dessen Batterie kaputt ging, habe ich auch wieder in Gang gesetzt und so können wir sehr schnell Positionen überprüfen. Wir haben aber auch noch meine elektronischen Sklaven, die ganz ohne menschliches Zutun ständig äußerst genaue Standorte ausrechnen. Der GPS macht es zweimal pro Sekunde mit einer Rechengenauigkeit von 2 m und einer Systemgenauigkeit von mindestens 120 m oft 15 m. Mit dem Sextanten sind 5 Meilen schon gut.

Genug für heute, es war wieder ein langer warmer sonniger und dementsprechend arbeitsreicher Tag.

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In See, Transatlantik, Juni 1993

Nachdem wir wieder an Bord waren, vergingen auch die letzten Wochen und Tage vor dem geplanten Aufbruch wie im Fluge. Es gab so vieles zu tun und die Jobliste wurde zwar ständig abgearbeitet, aber auch gleichzeitig ergänzt und verlängert. Nachdem der Schnee weg war und die gefrorenen Flüsse und Seen aufgetaut waren, spielte das Wetter einigermaßen mit und bald war der Zeitpunkt da, wo wir unsere Crew in Boston abholen mußten. In letzter Minute ergab sich noch eine Veränderung, Heike kam einen Tag früher an als Pit, aber wir hatten das Auto ohnehin für zwei Tage gebucht und die einzige Änderung war eine Übernachtung in Boston. Da wir uns aber schon vom Herbst her auskannten, war alles kein Problem. Wir fuhren am 26.5. mittags los und waren so rechtzeitig in Boston, daß wir vorher noch ein Motel buchen konnten. Wie wir am Flughafen eintrafen, war das Flugzeug gerade 1 Std. früher gelandet und wir brauchten nur 20 min. zu warten, bis Heike aus dem Zollbereich kam. Wir kennen Heike seit 1990, wir trafen uns in Irland, wo sie mit der Trans-Ocean-Yacht "Alk" aus Schottland kam, und hatten dann immer Kontakt von Boot zu Boot, persönlich und per Kurzwelle. Seit1992 war sie dann wieder als Krankenschwester in München tätig.

Wir fuhren erst einmal vom Flughafen ans Meer und beobachteten beim bekannten Bostoner Winthrop Yachtclub den farbenprächtigen Sonnenuntergang hinter der Skyline der City. Wir fuhren dann noch etwas in den alten schönen Außenbezirken am Meer herum und nahmen danach Kurs auf das Motel an der Route 1 nach Norden. Diese Straße haben wir zwischen Florida und Kanada schon mehrmals per Boot unter Klappbrücken unterquert und mit Mietautos benützt.

Am nächsten Tag brachen wir früh zu einer Besichtigungstour der Innnenstadt auf und bei strahlendem Sommerwetter schlenderten wir in der "Altstadt" von Boston herum, die sehr schön hergerichtet wurde. Alte Warenhäuser, die verfielen, sind zu Wohnungen und Geschäften umgebaut worden. Sie wurden teilweise für einen Dollar, mit der Auflage der Renovierung verkauft. Der Verkauf geschieht dann nicht mehr zu einem symbolischen Preis. Gelegenheiten für Spekulanten, wir denken immer daran, wenn wir einer Motoryacht mit ein bis zwei Bordhubschraubern begegnen; denn wie "verdient" man das dafür nötige Kleingeld?

Mittags machten wir uns rechtzeitig auf den Weg durch den Lincolntunnel zum Flughafen und stellten wieder fest, daß der Flug zu früh war und brauchten auch auf Pit nicht lange zu warten. Pit lernte ich beim Segeln vor 12 Jahren in der Adria kennen. Er hatte gerade den neuen Sporthochseeschifferschein gemacht und konnte die Meilen gut brauchen.

Wir hatten dann eine schöne Fahrt zusammen nach Maine, viel zu sehen und zum Erzählen. In New Hampshire, wo es keine Verkaufssteuern gibt, kauften wir noch günstig Spirituosen und Wein ein und in Portland stoppten wir für ein spätes Fischessen und für einige Einkäufe bei einem Schiffsausrüster. Wie wir in Rockland ankamen, begann gerade ein Wolkenbruch, vor dem wir schnell in den Supermarkt flüchteten - zum Hummereinkauf - und an Bord schien dann wieder die Sonne, an Deck und in den Kochtöpfen. Wir mußten schließlich unseren Gästen Maine-Lobster vorsetzen. Als wir in Maine angekommen waren, wohnten wir ja zuerst bei Freunden, Sid und Paula, und sie hatten uns erst wenige Tage vorher mit einem Lobster Cook-out verwöhnt, so kam ich zu 8 Pfund Hummer in einer Woche. Dianne hatte schon den Punkt erreicht, wo sie keinen Hummer mehr wollte und sah uns beim Käsebrot zu...

Am Freitag gingen wir von der Boje wieder an die Pier bei Knight Marine Service und bis das Auto zurückgegeben werden mußte, kauften Dianne und Heike ein. Dianne machte dann die Endabrechnung mit Knight's und da kam die erste Überraschung. Fünf Tage an der Pier und Liegen an der Boje - nicht berechnet! Begründung, wir freuen uns, daß Ihr da seid.

Freitag Nachmittag war dann unsere Abschiedsparty, denn ich hatte Samstag den 29.5. als Auslauftag aus Rockland für jeden Fall festgelegt. Die ganze Familie Knight und alle Angestellten kamen und wir hatten viel Spaß. Frau Knight hatte sogar eine Tasche mit Schiffsnamen bestickt und mit allerlei Geschenken gefüllt. Wie die Party so richtig im Gang war, klangen plötzlich deutsche Laute auf der Pier, und Klaus und Mary, die wir letztes Jahr in Cambridge und Baltimore kennengelernt hatten, tauchten auf. Sie verbanden den Abstecher zu unserem Abschied mit ein Paar Tagen in Maine, Baltimore - Rockland ist schließlich weit von einander entfernt. Sid und Paula waren auch da und es ging bis spät in die Nacht.

Die Wassertankstelle für Diesel und Benzin wurde neu gebaut und sollte am Samstag fertig werden. Tatsächlich wurden wir so die ersten Kunden unmittelbar nach Fertigstellung und die weitere Überraschung war, daß wir 320 l Diesel- mehr ging nicht in die Tanks - geschenkt bekamen!

Während des Wartens war strammer Wind aufgekommen und bei etwa 8 Windstärken verließen wir Rockland. Nomen est Omen, kann man nur sagen, denn in den nächsten Tagen pfiff es aus allen Knopflöchern und wir versteckten uns in einigen geschützten Buchten der Inseln Vinalhaven und Northhaven. Es wurde dann am 1.6. bei Südostwind sogar ausgesprochen ungemütlich. Der Landgang mit dem Beiboot war ein mehr als feuchtes Erlebnis, unten salzig, oben nur naß. In Staffeln zogen die Schauerböen den ganzen Tag durch. Wir aßen die am Vortag bei Sonnenschein selbstgesammelten Muscheln, ließen es uns gut gehen und bereiteten uns weiter vor. Nach einigen Wetterberatungen über Telefon vom deutschen Wetterdienst in Hamburg fiel am Morgen des 2.6. die Auslaufentscheidung. Gerade im rechten Zeitpunkt, denn die Tiefs kamen dicht hintereinander angejagt und wir benötigten gute 2 Tage, um aus den Gewässern des Golfs von Maine, der Georges Bank und Browns Bank herauszukommen. Wir hatten nach dem Frontdurchgang viel, sehr viel Wind und jagten nur so dahin, zwar alles aus der richtigen Richtung, aber auch etwas rau gebeutelt. Gerade nach Passieren des North-East-Channel südlich Nova Scotia kamen wir dann noch in Nebel und ich schlief weder viel noch ruhig. Aber nach nur 4 Tagen waren wir am 40. Breitengrad und konnten an das Ablaufen nach Ost denken. Die Eisgrenze war gerade bei 42° N . Aber die Tiefs meinten es nur gut mit unserer Geschwindigkeit, wir jagten mit etwas wechselnden Kursen und Etmalen zwischen 130 und 140 Sm in den Golfstrom hinein. Leider hatte ein vorangegangener schwerer Sturm die Gewässer so aufgewühlt, daß sich die kalten Gewässer des Labradorstroms und die warmen Wasser des Golfstroms noch wirrer als normal vermischten und wir hatten Gegenstrom bis 4 Kn von überallher. Wir hatten noch ein elektronisches Unterwasserthermometer eingebaut und sahen so die ständigen Temperaturschwankungen zwischen 16° und 24° C, meist ganz scharf getrennt. Wir wurden zu Umwegen gezwungen und wußten oft nicht einmal genau, um was wir herumfahren sollten. Sowohl vom Golfstrom, als auch vom Labradorstrom spalten sich Wirbel von 20 bis 120 Sm Durchmesser ab, die rechts oder links drehen. Auch jede Zwischenstufe meandernder Zungen tritt ebenfalls auf. Mit einem uns vorausfahrenden Frachter nahmen wir Verbindung auf und er sagte uns dann über Kurzwelle immer die Strömungen durch, die wir auf Kartenblätter eintrugen und dann versuchten taktisch das Beste daraus zu machen. Dazu war das Wetter immer windig bis stürmisch und wegen der wechselnden Strömungen baute sich der Seegang konfus und chaotisch auf. Ständige Berg- und Talfahrt aber immmer noch relativ schnell mit doppeltem Reff im Groß und Fock. Es war recht anstrengend und selbst eine kleine Flaute in einer Nacht genossen wir trotz fürchterlichem Rollen und Stampfen. Dann jagte uns wieder ein Tief und wir mußten weiter nach Süden ablaufen und eine Nacht drehten wir vor nur Fock bei. Die Wellen waren jetzt aber etwas gleichmäßiger, dafür aber wesentlich höher. Wieder ging es drei Tage so mit Brausefahrt dahin. Es wurde aber niemand seekrank und alle Mahlzeiten gab es mit etwas Geschick ordentlich am Tisch. Die ARION ist ein so gutes Schiff! (Unser bekannter Durcheinander mußte nur wenig abgemildert werden).

An einem Nachmittag wurde der westliche Himmel immer dunkler und der Kontrast zum Horizont ging im Schwarzblau unter. Wie es dunkel wurde sahen wir Blitze aus vier verschidenen Gewitterzellen zucken. Wir beobachteten sorgfältig die Zugrichtungen und ich rechnete mir aus, daß eine 90° Kursänderung uns aus der Zugbahn bringen könnte. Leider konnten wir nur drei Gewitter ausmövrieren. Das Vierte erwischte uns genau und ständig zuckten grelle Bltze herunter und alles war gleißend hell erleuchtet. Ich steuerte von Hand nach Kompaß und der Kontrast zwischen der weich in rot leuchtenden Anzeige und den blendenden Blitzen war mehr als meine Augen wollten. Nach zwei Stunden, wie alles vorbei war, musste ich das Steuer loslassen, wir trieben plötzlich in einer Flaute und meine Augen, vor denen bunte Ringe tanzten, konnten sich endlich ausruhen. Ich war noch nie so geschafft.

Tagelang waren wir aber verschlossen wie ein U-Boot und nur zu seltenen Manövern wurde aufgemacht. Immer wieder landete eine Welle an Deck oder an den Aufbauten.

Eines Morgens mußte ich am Lifebelt über der Reeling hängend die Reffwinsch am Großbaum neu annieten. Beim Reffen in der Nacht war sie vom großen Zug in einer Bö ausgerissen und zum Glück nicht über Bord gegangen. Nieten ausbohren und nieten bei Brausefahrt in chaotischem Seegang ist keine einfache schnelle Sache.

Täglich begegneten wir auch Frachtern und hatten mit ihnen Funkkontakt. Mit anderen Yachten haben wir regelmäßig über Kurzwelle Kontakt: Deutsche Yachten von TO, die aus Bermuda kommen und ein Südafrikaner (68Jhr alt) mit Familie, der am 1.6. aus Rockland ausgelaufen war.

Seit zwei Tagen sind wir aus dem Schlamassel heraus und endlich entspanntes Schönwettersegeln mit Vollzeug.

Horta,24.6.93

Ja, so dachten wir.....:

Die Tatsache, daß ich erst heute weiter schreibe zeigt, daß wir wieder kein "Computerwetter" hatten und daher der Schreibfluß zum Stocken kam. Es kam noch einmal ein Tief genau auf unserer Breite des Weges und wir hatten noch eine echte Geduldsprobe zu bestehen, denn der Wind kam auch noch fast aus der falschen Richtung, flaute dann ab und der Seegang blieb als Chaos stehen, wir hatten kaum einen Horizont, es sah immer aus, als ob wir in einem Trichter gefangen wären. Ein Tag verging mit Beutelei, dann gab es wieder Wind aber fast auf die Nase, wenig Fahrt sehr unbequem und dann ging am 22.6. morgens der Knoten auf und wir hatten stramme 6 Windstärken aus der richtigen Richtung und rauschten mit 6 Kn nach Horta, wo wir am 22.6. um 17.00 Uhr ankamen. Zwanzig volle Tage auf See und nur 3 Tage mit weniger als 5 Windstärken. Wegen der Seegangsverhältnisse und wegen eines Geräusches in der Elektrohydraulik - ich wollte aus Furcht vor einem Totalausfall (dann Pinnensteuerung!) nicht auf See ran - hatten wir 60% der Strecke im Steuerhaus von Hand gesteuert.

Inge, die Frau meines Freundes Mike, wartete schon, wir hatten allerdings vorher bereits am Funk miteinander gesprochen, denn eine andere deutsche Yacht war bereits hier und hatte sich unserer neuen drei Gäste angenommen. Es sind viele deutsche Yachten hier und heute früh begrüßten uns Walter und Ursula von der Shangri La, die wir zuletzt in der Chesapeake Bay getroffen hatten. Sie sind von Antigua gekommen. Sie gehen jetzt nach etwa 70.000 Sm in den Ruhestand an Land.

Noch ein wenig Statistik:

Wir haben von Maine bis Horta 2180 Sm gesegelt, machten zwischen einem und acht Knoten durchs Wasser, zwischen -0,8 und 10 Kn über Grund und hatten von Flaute bis guten 40 Kn Wind alles. Die Monatskarten (statistische Wetter-und Klimakarten) sagen etwas völlig anderes aus. Die Bahnen der Tiefs verlaufen jetzt etwa 3° bis 5 ° südlicher und somit stimmen die angegebenen 2% Starkwind im Juni nicht. Die Bermuda - Azorensegler fuhren alle erst einmal nach Osten und dann nach Norden, statt NO und dann den Breitenparallel entlang.

 

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